"Die Leitplanken sind noch nicht definiert"


Der Weg zur Legalisierung des privaten Cannabis-Konsums ist keine vierspurige
Autobahn, sondern - zumindest derzeit noch - eine ungesicherte Landstraße mit
vielen Unwägbarkeiten. Das wurde am Mittwoch beim Runden Tisch "Sucht und
Drogen" der Stadt Hannover im Neuen Rathaus deutlich, an dem der Cannabis
Social Club Hannover teilnahm.


Im Mosaiksaal des Neuen Rathauses in Hannover fand am 14. Juni ein Runder Tisch zur
Drogenpolitik mit dem Schwerpunkt Cannabis Social Clubs statt. (pmz/csch)


(Hannover, 14.6.2023) -- Auch unter ausgewiesenen Drogen- und
Suchtexperten herrscht Ungewissheit, wie das im April von
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir vorgestellte Konzept zur
kontrollierten Abgabe von Genusscannabis an Erwachsene in Deutschland
praxistauglich umgesetzt werden kann.

Um mehr Licht ins Dunkel zu bringen, hatte Sylvia Bruns, Stadträtin und
Dezernentin für Soziales und Integration in Hannover, am Mittwoch zu einem
Runden Tisch geladen, in dessen Mittelpunkt die Struktur von Cannabis Social
Clubs, deren Arbeit, die aktuelle rechtliche Situation und zahlreiche weitere
Fragen zu Mitgliederaufnahme, Qualitätssicherung, Finanzierung oder auch
vereinsinternen Suchtpräventionsmaßnahmen standen.


"Wir nehmen das Thema Suchtprävention und -beratung sehr ernst",
verdeutlichte Heinrich Wieker, 1. Vorsitzender des Cannabis Social Club
Hannover (CSC). "Erkennen wir zum Beispiel problematischen Konsum, werden
wir dies ansprechen und auch Hilfsangebote unterbreiten."


Henry Wieker, Frank Woike und Sylvia Bruns, Stadträtin und Dezernentin für Soziales und Integration in Hannover

"Allerdings hören wir derzeit immer noch aus Berlin, dass wir im Verein doch
bitteschön nicht zusammen konsumieren sollen. Dabei ist gerade das Angebot
eines betreuten Konsums das Herzstück einer Schadensminimierung."


Laut dem im April veröffentlichten Eckpunktepapier zur kontrollierten Abgabe
von Genusscannabis an Erwachsene ist der "Konsum in den Räumlichkeiten der
Vereinigung ebenso verboten wie der öffentliche Konsum nahe Schulen, Kitas
o.ä. sowie in Fußgängerzonen bis 20 Uhr."


Auf die Frage, wie der Verein Qualitätssicherung betreiben wolle, antwortete
Wieker, dass er fest davon ausgehe, dass die zuständigen Behörden für zentrale
Tätigkeiten wie den Anbau oder die Abgabe (das sogenannte Budtendering)
von Cannabis Nachweise besonderer Fachkenntnisse verlangen werden. Diese
könnten beispielsweise an einer Cannabis- Akademie erlangt werden.


Henry Wieker und Frank Woike, Beauftragter für Sucht und Suchtprävention der Stadt Hannover


"Die angebaute Pflanze, was genau drin ist, wird vorher genau spezifiziert und
auch analysiert", führte Wieker weiter aus. "Es wird Wirkprofile geben, an
denen man sich orientieren kann, will man eher high sein oder eher stoned."
Also ähnlich wie in den niederländischen Coffee-Shops, wo man sich vor dem
Erwerb von Cannabis-Produkten gut informieren kann.
Geklärt werden müssten zudem noch viele Fragen, die auf den ersten Blick
banal wirkten, die aber erhebliche praktische Konsequenzen mit sich bringen
würden: "Beispielsweise wohnen zahlreiche Mitglieder des CSC im Umland von
Hannover, darunter auch Patienten, die Cannabis aus medizinischen Gründen
konsumieren, die jedoch nicht mobil sind. Müssen wir jetzt immer dahin fahren
und das persönlich abgeben, oder reicht es, dass wir einen sicheren Kurier
damit beauftragen?"

Frank Woike, Beauftragter für Sucht und Suchtprävention der Stadt Hannover,
wies auf den großen zeitlichen Verzug bei den angekündigten staatlichen
Legalisierungsmaßnahmen hin, der bereits eingetreten sei. "Das ist eigentlich
die größte Enttäuschung", pflichtete Hanf-Aktivist Wieker bei. "Wir wissen
nicht, ob da was kommt, wann etwas kommt. Dabei ist die Politik unter Druck,
endlich Flagge zu zeigen, wohin sie bei Cannabis eigentlich will - oder ob sie
sich erneut von den Prohibitionisten in die Tasche stecken lässt."


Gefragt wurde auch zu den Abgabepreisen des vom Verein produzierten
Cannabis, z. B. ob diese Preise über oder unter den Straßenpreisen liegen
würden. Wieker stellte klar, dass der Verein keinerlei finanzielles Interesse
verfolge. "Über konkrete Preise können wir aber erst dann reden, wenn wir die
genauen Anforderungen kennen", sagte Wieker: "Wo bauen wir an? Indoor?
Outdoor? Welche Schutzvorkehrungen müssen installiert werden? Was kostet
der Betrieb? Und so weiter."


Überlegungen, dass Cannabis Social Clubs ein Mittel sein könnten, um den
Schwarzmarkt auszutrocknen, erteilte Wieker eine klare Absage. "Dazu ist
unsere Erzeugerstärke viel zu gering. Im besten Fall könnten alle CSCs
zusammen vielleicht 20 oder 25 Prozent der Versorgung sicher stellen. Man will
uns da eine Aufgabe aufbürden, die allein schon aus technischer Sicht gar nicht
zu stemmen ist. Und bitte nicht vergessen: Wir machen das alle ehrenamtlich,
wir investieren dafür unsere Freizeit!"


Diskussionsleiter Woike wies zum Schluss noch einmal darauf hin, dass das
größte Problem beim Aufbau von Cannabis Social Clubs ganz offensichtlich der
weiterhin fehlende Rechtsrahmen ist. "Die Leitplanken sind noch nicht
definiert", sagte Woike und kündigte an, den aufgenommenen Gesprächsfaden
zwischen dem Cannabis Social Club und der Stadt Hannover
fortzuführen. (pmz/csch)